Zeche Lothringen in Bochum-Gerthe
1872 - 1967
Der Name der Zeche bezieht sich auf den deutsch-französischen Krieg von 1871. Damals wurde Lothringen in das
deutsche Reich eingegliedert. 1872 kam es zur Gründung der Gewerkschaft Lothringen durch die Konsolidation der ab 1856 verliehenen
Felder. Betrieblich bestand ab 1961 ein Verbund mit der nordöstlich gelegenen Zeche Graf Schwerin in Castrop-Rauxel, wobei die
Verwaltung beider Anlagen schon seit 1919 in Bochum lag. Sie gehörten wie die angrenzende Zeche Erin zum Eschweiler Bergwerksverein,
der diese Anlage 1967 kaufte, da seine Zechen im Aachener Revier an ihre Leistungsgrenzen stießen und für die Versorgung der Ruhrstahlwerke
zu weit entfernt lagen. Da die beiden Grubenfelder nicht nebeneinander lagen wurde ein umständlicher Transport der auf Graf Schwerin
geförderten Kohle über eine Verbindungsbahn betrieben.
Die ersten Jahrzehnte lief der Betrieb ohne größere Unglücke. 1912 ereignete sich eine der größten Schlagwetterexplosionen im
Ruhrgebiet am Schacht 1/2 mit 114 Toten. Zufällig war Kaiser Wilhelm zu Besuch bei Krupp (100 Jahrsfeier) in Essen. Er besuchte
die Zeche und kondolierte. Wieviel Betroffenheit und wieviel Eigennutz bei diesem Besuch vorlag bleibt offen. Bis zur Stilllegung
gab es (wohl auch wegen 1912) relativ wenige Unglücke. 1915 forderte eine Kohlenstaubexplosion drei Tote, eine Schlagwetterexplosion
1922 fünf und eine weitere 1925 zehn.
Ab 1920 gegann durch Zukauf und Beteiligungen eine Ausweitung der Geschäftsbereiche (u.a. Erzbergwerke, Werften, Handel und Maschinenbau).
Auch eine der ersten Konzernbanken (Westfalenbank) wurde gegründet. An der Castroper Straße wurde ab 1925 ein Walz- und Stahlwerk
gebaut, das in den Stahlwerken Bochum aufging. Das unübersichtliche Konglomerat führte beinahe zum Konkurs und ab 1926 konzentrierte
man sich wieder auf den Bergbau- und Stahlbereich. Ab 1912 wurde auch Ferngas nach Herne und Witten geliefert. Wegen der Weltwirtschaftskrise
kam es zu Massenentlassungen. Eine Stilllegung der Zeche konnte verhindert werden.
Nach 1957 gehörte die Zeche zum Eschweiler Bergwerksverein (EBV), der Kohlesparte des Stahl- und Eisenerzeugers ARBED.
Sie überstand damit die Krise der 1960er Jahre zunächst relativ unbeschadet. Auch mit den Stahlwerken Bochum bestand weiter eine Verbindung
(größter Stromabnehmer). Als der EBV die Nachbarzeche Erin kaufen konnte, bei der besser absetzbare Kohlesorten anstanden, erfolgte
1967 die Stilllegung.
Die Verbindungsbahn zu den Stahlwerken Bochum ist zu einem Fuß- und Radweg ausgebaut worden, der bis zum Schacht 3 reicht. Das
letzte Stück ist auch Teil der neuen Ortsumgehung Gerthe, die v.a. den Schwerlastverkehr aus der engen Ortsmitte aufnimmt. Am
Standort der Kraftwerks erinnern drei Stahlgitterkonstruktionen an die Schornsteine, die ihm Volksmund als die "drei großen Herren"
bezeichnet wurden.
Die Anlage 1/2/6 war für den Bochumer Stadtteil Gerthe prägend. Aus dem Dorf entwickelte sich eine typische
Bergbaugemeinde mit Zechensiedlungen. Diese war von der Zeche völlig abhängig. Bis 1926 wuchs Gerthe durch Eingemeindungen der
umliegenden Landgemeinden, auf deren Gebiet weitere Schächte der Zeche lagen. Bei der kommunaler Neuordnung 1929 wurde Gerthe
nach Bochum eingemeindet. Durch die Ruhrbesetzung und die um 1926 einsetzende Bergbaukrise waren die Aussichten für die Zeche
Lothringen schlecht und die Gemeinde verlor einen großen Teil ihrer Steuereinnahmen. Ähnliche Verhältnisse gab es im gesamten
Ruhrgebiet, besonders im südlichen Teil.
Ein Teil des Zechengeländes wird für die Erweiterung und Entwicklung der Ortsmitte genutzt (Wohnungen und Einkaufsmöglichkeiten),
der Rest ist für Gewerbebetriebe erschlossen. Der größte Betrieb ist ein Maschinenbauer. Dazu kommt die Nutzung der verbliebenen
Gebäude, die sorgfältig restauriert wurden u.a. durch den
Gerther Kulturrat
im ehemaligen Magazin am Schacht 1/2/6. Er ist Anbieter von Kleinkunst, Kabarett und weiteren kultureller Veranstaltungen. Dazu
kommt das Puzzleum, eine Sammlung hunderter Puzzles und Geduldspiele. Ein weiteres denkmalgerecht saniertes Gebäude ist das
Maschinenhaus von Schacht 2. Hier ist eine Sprachschule eingezogen.
Auch die frühere Verwaltung der Zechen des
EBV existiert noch. Die Bausubstanz ist nicht die Beste und eine dauerhafte
Nutzung ist fraglich.
Die Sanierung des Geländes war sehr aufwändig, da u.a. eine Teerkokerei bestand und eine Anlage, die nach dem Ostwaldverfahren
Salpetersäure herstellte. Diese war im 1. Weltkrieg der Grundstoff für die Munitionsherstellung, die bis dahin auf der Basis von
Salpeter aus Chile basierte. Durch den Krieg kam der Import zum Erliegen. 1905 hatte die Produktion begonnen, nachdem die chemische
Großinustrie das Verfahren abgelehnt hatte. Zum ersten Mal kam Kohlechemie zur Anwendung. Davor waren i. W. nur Teer und Kokereigas
als Nebenprodukte gewonnen worden.
Schacht 1 erhielt eine kuppelartige Aufpflasterung mit einem umlaufenden Stahlband, das seine Koordinaten trägt, Schacht 2 wurde
in einen Kreisverkehr integriert und mit einer kleinen Stahlskulptur markiert. Dazwischen befindet sich ein Blockheizkraftwerk
zur Nutzung des weiter anfallenden Methans.
Der Schacht 6 war bis zur Stilllegung 1983 an die Zeche
Erin in Castrop-Rauxel verpachtet und ist durch eine Protegohaube
erkennbar, die seitlich am Magazingebäude hochgezogen ist.
Am Schacht 3 entstanden unter staatlicher Beteiligung die Chemischen Werke Lothringen (ab 1916 so bezeichnet), die
die Kokereiprodukte weiter verarbeiteten. Im 1. Weltkrieg stieg die Zahl der Beschäftigten auf 4500, die fast nur Natronsalpeter
als Ausgangsstoff für Schießpulver produzierten. Wegen möglicher Sabotage wurden keine Kriegsgefangenen eingesetzt. 1920 schied der
Staat aus, 1922 stieg die BASF ein. Bis zur Betriebseinstellung 1931 als Folge der Weltwirschaftskrise wurde Dünger und Sprengstoffe
für den Bergbau produziert. Später entstand entstand unter Nutzung geeigneter Gebäude ein Gewerbegebiet.
Am Schacht 3 befand sich auch bis 1945 ein Zwangsarbeiterlager. Dieses ist weitestgehend erhalten, da es nach der Stilllegung von einem
Verein angepachtet wurde, der es zu einem Wohnprojekt umbaute. Anfangs waren es Studenten und Menschen aus der alternativen Szene.
Heute leben hier einige "Urgesteine" und viele Familien mit Kindern, für die das etwa 10000 m² große Gelände ideale Bedingungen
bietet. Inzwischen ist das ehemalige Lager in die Landesdenkmalschutzliste eingetragen, da es als einziges weitgehend in der ursprünglichen
Bausubstanz erhalten blieb. Dazu gehört auch ein Deckungsgraben. Die ehemalige Waschkaue ist für interne Veranstaltungen nutzbar
und im ehemaligen Trafohaus (davor Benzolfabrik) informiert eine kleine Ausstellung über die Geschichte des Lagers. Aussen ist
eine Gedenktafel angebracht. Eine Kölner Schauspielerin hat hier eine besondere Form der Erinnerung über einige Jahre gepflegt. Sie
führte als Geist einer bei der Geburt ihres Kindes verstorbenen Zwangsarbeiterin über das Gelände und erzählte dabei ihre Geschichte
als zurückgekehrte Beschützerin der Kinder im Lager. Diese mussten ohne Aufsicht im Lager bleiben, wenn die Mütter zur Arbeit abgeholt
wurden.
Die benachbarte Halde wurde umgestaltet und ist frei zugänglich. Ein Stahlband mit einer (meist defekten) Lichtinstallation weist
den Weg auf den Gipfel. Bei der Sanierung der Halde wurde der verrohrte Gerther Mühlenbach frei gelegt, der in einem talartigen Einschnitt
fließt. In den 1970er Jahren kam die Halde in die Schlagzeilen, als dort illegal gelagerte Giftmüllfässer entdeckt wurden.
Der Schacht 3 ist nicht erkennbar, da er nach einem Gasausbruch abgedichtet und mit Erde überdeckt wurde. Daneben steht noch die
Ruine des Bürogebäudes.
Am Schacht 4 wurde ab 1937 eine Zentralkokerei betrieben und das neue Kraftwerk gebaut, das auch die Stahlwerke
Bochum mit Strom versorgte. Das Gelände lag nach der Stilllegung brach und wurde erst nach dem Jahr 2000 neu überplant. Ein Teil ist für
die Naherholung nutzbar. Dazu wurde kontaminierter Boden zu einer Erdpyramide mit einer Aussichtsplattform aufgeschüttet und gärntnerisch
gestaltet. Hier steht auch zur Erinnerung eine Seilscheibe. Ein großer Bereich wurde mit Wohnhäusern bebaut, die an die bestehende
Zechensiedlung anschließen. Etwa 50 % der Fläche ist mit Erschließungsstraßen für die Entwicklung des Gewerbeparks Hiltrop hergerichtet.
Als erste Betriebe entstanden die Zentrale eines Großhändlers von Wälzlagern und ein Sanitärgroßhandel. Gleichzeitig wurde die
Hauptverkehrsstraße über das Gelände verschwenkt. Damit konnte eine Verkehrsberuhigung der angrenzenden Zechensiedlung erreicht werden.
Einige kleine Betriebe kamen ab 2010 dazu.
Der Schacht mit der Betonabdeckung liegt im Grünstreifen, der das Neubaugebiet vom Gewerbepark abschirmt. Er wurde 2015 saniert und
erhielt einen neuen Schachtkopf, der dem heutigen Standard entspricht. Um den Schacht herum wurde ein Baumreihe angepflanzt. Die
Arbeiten sind unter
Sanierung Schacht Lothringen 4 ausführlich dokumentiert.
Am Schacht 5 bestand auf dem ehemaligen Kokereigelände eine Imprägnieranlage. Hier wurden v.a. Eisenbahnschwellen
behandelt und Grubenholz. Daher war das Gelände stark kontaminiert und lange nicht neu genutzt. Besonders im Sommer war im direkten Umfeld
der typische Geruch von Teer und Benzolverbindungen wahrnehmbar. Das Gelände war metertief mit Kohlenwasserstoffen kontaminiert. Es
standen noch einige Restgebäude mit verrottenden Destillieranlagen und auch die Imprägnierkessel rosteten vor sich hin. Das Gelände wurde
bis 2014 komplettsaniert und für eine neue Nutzung hergerichtet. Auffällig ist die mit Gabionen verstärkte große Böschung. Bis Ende 2015 lag
lag die als Gewerbepark Gerthe Süd ausgewiesene Fläche noch im Dornröschenschlaf. 2017 siedelten sich die ersten Betriebe an. Anfang 2018
war eine größere Halle im Bau. 2023 war etwa die Hälfte der Fläche belegt.
Der Schacht war nur zur Erhöhung der Absatzmenge beim Kohlesyndikat abgeteuft worden. Die "geplante" Förderanlage wurde nicht
ausgeführt und nur ein Luftschacht betrieben. Der Schacht ist am Revisionsdeckel erkennbar.
Übersicht Schachtdaten
Schacht |
Teufbeginn |
Inbetriebnahme |
Stilllegung |
max. Teufe (m) |
Kokerei |
1 |
1872 |
1880 |
1967 |
1026 |
1887 - 1956 |
2 |
1895 |
1896 |
1967 |
1026 |
|
3 |
1901 |
1905 |
1966 |
813 |
1911 - 1924 |
4 |
1910 |
1911 |
1957 |
1026 |
|
5 |
1913 |
1914 |
1957 |
824 |
1914 - 1924 |
6 |
1884 |
1887 |
1986 |
1026 |
zu Erin |
maximale Förderung 1.636458 t 1964
durchschnittlich 1 - 1,3 Mio. t/a
Die Zeche Lothringen war immer der einzige große Arbeitgeber in Bochum-Gerthe. Selbst über 50 Jahre nach
der Stilllegung hat sich der Stadtteil noch nicht richtig davon erholt. Durch die Sanierung des Zechengeländes der Anlage 1/2/6 hat
das frühere Stadtteilzentrum eine (geringe ?) Chance sich wieder zu entwickeln.
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- Kraftwerkschornsteine 1913 mit noch im Freien stehenden Kesseln
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- Schacht 1/2 mit Kokerei im Jahr 1913
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- Schacht 1/2 aus der Luft im Jahr 1926
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- Schacht 1/2 im Jahr 1958 mit neuer Kohlewäsche
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- Schacht 1/2 im Jahr 1964
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- Schacht 1/2 im Jahr 1964
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- Schacht 1/2 im Jahr 1965
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- Schacht 1/2 im Jahr 1978
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- Schacht 1/2 im Jahr 1978
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- Restgebäude am Schacht 1 1980er Jahre
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- Restgebäude am Schacht 2 1980er Jahre
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- Verwaltung in den 1980er Jahren
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- Maschinenbäude Schacht 2 in den 1980er Jahren
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- Schacht 1 im Jahr 1966
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- Schacht 1 Abriss im Jahr 1980
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- Schacht 1 Abriss im Jahr 1980
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- Schacht 1 in der Mitte des Kreisverkehrs
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- Schacht 1 mit Blockheizkraftwerk
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- Umfeld von Schacht 1 aktuell
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- Umfeld von Schacht 1 aktuell
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- Schacht 2 im Jahr 1963
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- Schacht 2 im Jahr 1964
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- Schacht 2 im Jahr 1964
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- Schacht 2 auf einem Parkplatz
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- Schachtdaten auf dem Eisenring
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- Fördermaschinenhaus von Schacht 2
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- Verwaltung im Jahr 2022
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- Kohlewagen als Denkmal
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- Grubenlok mit Kohlewagen
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- Kulturwerk Lothringen
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- Kulturwerk Lothringen
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- Kulturwerk Lothringen
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- Kulturwerk Lothringen
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- Kulturwerk Lothringen
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- Kulturwerk Lothringen
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- "Historienschinken" zum Grubenunglück 1912
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- Schacht 6 im Jahr 1978
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- Schacht 6 mit hochgezogener Protegohaube
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- Gasleitung vom Schacht zur Protegohaube
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- Schacht 6 aktuell
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- Schacht 6 aktuell
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- Schacht 6 aktuell
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- Schacht 6 aktuell
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- Schacht 3 im Jahr 1913
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- Schacht 3 im Jahr 1913
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- Schacht 3 im Jahr 1963
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- Schacht 3 im Jahr 1964
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- Schacht 3 im Jahr 1965
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- Schacht 3 (eingezäunt) im Jahr 2008 mit Ruine der Verwaltung
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- Schacht 3 im Jahr 2008 mit Waschkaue und Trafohaus
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- Schacht 3 im Jahr 2008 Waschkaue
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- Schacht 3 Eingangsbereich
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- Erinnerungsführung im Jahr 2013
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- Erinnerungsführung im Jahr 2013
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- Erinnerungsführung im Jahr 2013
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- Erinnerungsführung im Jahr 2013
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- Erinnerungsführung im Jahr 2013
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- Erinnerungsort im ehemaligen Trafohaus
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- Provisorischer Mahnspruch ...
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- ... und endgültige Erinnerungstafel
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- Information im Gebäude
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- Schacht 4 im Jahr 1913 mit dem Zechentor
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- Schacht 4 im Jahr 1913 mit Kokerei
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- Schacht 4 im Jahr 1928
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- Schacht 4 im Jahr 1958
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- Schacht 4 im Jahr 1966
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- Schacht 4 im Jahr 1966
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- Schacht 4 im Jahr 1967
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- Schacht 4 vor der Sanierung 2015
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- Freie Gewerbefläche mit Schacht 4 (im Gehölz)
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- Zufahrt zum Schacht 4 nach der Sanierung
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- Schacht 4 mit dem verkrauteten Umfeld
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- Schacht 4 Revisionsdeckel
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- Wohnhäuser am Gewerbegebiet Lothringen 4 im Jahr 2015
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- Seilscheibe im Gewerbegebiet Lothringen 4 im Jahr 2015
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- Gewerbegebiet Lothringen 4 im Jahr 2015
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- Gewerbegebiet Lothringen 4 im Jahr 2015
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- Gewerbegebiet Lothringen 4 im Jahr 2015
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- Neues Wohngebiet im Jahr 2011
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- Schacht 5 in den 1960er Jahren
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- Schacht 5 in den 1970er Jahren
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- Kohlenwäsche Schacht 5 in den 1970er Jahren
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- Teerdestillation am Schacht 5 um das Jahr 2008
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- Imprägnierkessel am Schacht 5 um das Jahr 2008
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- Ruinen am Schacht 5 um das Jahr 2008
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- Teerdestillation am Schacht 5 um das Jahr 2008
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- Gelände Lothringen 5 befestigte Böschung
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- Gelände Lothringen 5 Erschließungsstraßen
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- Schacht 5 Revisionsöffnung
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- Erste Gewerbebetriebe Anfang 2018
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- Hallenneubau im Jahr 2018
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- Zechenbahntrasse mit den leider üblichen Vandalismusschäden
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